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Shala, Kir, Valbona, Osum – klingende Namen im Innenohr der Balkanpaddler. In den letzten Jahren hat sich Albanien einen veritablen Ruf aufgebaut als Wildwasserdestination der etwas anderen Art. Expeditionsfeeling auf Fluss wie Straße, Traumbäche eingebettet in eine grandiose Berglandschaft, die raue Herzlichkeit der Einheimischen – Albanien ist ein Reiseparadies für Wagemutige und Kenner.
Viele viele Jahre stand Albanien nahezu unberührt auf der persönlichen Paddelwunschliste. Ein halbes Dutzend Mal hatte ich das Land seit 2004 bereist – immer nur für wenige Tage, meist ohne Kajak. Doch spätestens als ich mich 2012 spontan einer tschechischen Gruppe auf dem Devoll anschloss bin ich dem Charme der albanischen Flusslandschaften erlegen. Die Idee wurde zur Gewissheit. Das nächste Mal Albanien nur mit Boot!

Die Stunde schlug im April 2015: Mit einem schlagkräftigen Team von schweizerisch-deutschen Freunden paddelten wir den Frühling herbei. Das geschah zunächst in betont kargem Ambiente. Eisiger Wind und kahle Laubwälder im Gebirge, nur entlang der Unterläufe keimte der Uferbewuchs in zartem Grün. Blauer Himmel und viele Sonnentage machten die Kälte wett – ein Trost zudem, dass auch am Brenner die Lkw-Fahrer Schneeketten anlegten. Die Beute war trotz des späten Winters üppig: ideale Wasserstände zum Kennenlernen für die Cemit-Quellfbäche und die Klammen des Kir, traumhaftes Wasser im abgelegenen Shala-Tal.

Und auch der Expeditionsfaktor war hoch: Zwar frisst sich der Asphalt mehr und mehr in die Täler – so ist zum Beispiel die Zufahrt zur Kir-Standardstrecke geteert und auch Tamara im Cemit-Tal ist nun über ein breites, schwarzes Band erreichbar –, wer aber tiefer ins Gebirge zielt, kommt um einen kurzen Allrad mit viel Bodenfreiheit nicht umhin. Die Zufahrten ins hintere Kir-Tal wie auch die Überquerung des mit Schnee garnierten Passübergangs ins Shala-Tal gehören definitiv zu den härtesten »Straßen«, die ich bisher unterm Cassis hatte. Auch das robusteste Auto schafft kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit, das Boulder-Paradies der Shala erkauft man sich mit einem vollen Fahrtag.
Doch wer nun glaubt, dass zum Paddeln in Albanien sichere Boofs, ein extraterrestrisches Expeditionsmobil sowie ein gewisses Maß an Todesverachtung nötig wären, droht eine Menge zu verpassen! Der Süden des Landes mit den Flusssystemen Osum und Vjosa bietet großartige Landschaften, die auch dem sportiven WW-II-Piloten offenstehen. Und das bezaubernde Valbona hat ohnehin für alle Geschmäcker was zu bieten. So bewies ein knapp zweiwöchiger Trip Ende Mai 2015, dass Albanien nicht nur Unentwegten mit Allrad-Ausstattung vorbehalten bleibt.

Das Schmelzwasser war weitgehend den Bach runter, im Süden versprach moderates Genusswildwasser klassische Urlaubsgefühle. Südlich der Linie Tirana – Burrel präsentiert sich das albanische Hinterland deutlich weniger schroff, das Gebirgsrelief wird sanfter, die Flusstäler schwingen zum Teil in großen Mäandern, richtig alpin wird’s vor allem in herausragenden Schluchtabschnitten. Im Mittelpunkt steht das Einzugsgebiet der Vjosa, in Griechenland Aoos genannt. Mit Lengarice, Drinos und Benca kontrastieren drei Zuflüsse den mächtigen – im Juni wunderschön blauen – Strom. Besonders die glasklare Benca weiß zu entzücken: Einer friulanischen Torrente gleich pendelt das kleine Bächlein zwischen weißen Kieseln. Kurze Klammabschnitte sind das Salz in der Suppe, der tiefste Schnitt wird von einem uralten Aquädukt überspannt.

Wie Drinos und Benca bewegt sich auch der Osum im zweiten Schwiergkeitsgrad – einen niedrigen Frühsommerwasserstand vorausgesetzt. Die Szenerie ist gigantisch. Nicht umsonst wird die lange Klammetappe nahe Corovoda Grand Canyon of Albania genannt. Nach dem fast kitschig schönen Klammklassiker sind wir bereit für Neuland. Wir machen uns auf zum Schwarzen Drin nahe der mazedonischen Grenze. Die Tour bis weit in den Osten kommt einer halben Weltreise gleich. Dank der Geländewagen sparen wir uns die eine oder andere Fahrstunde. Obendrauf gibt’s fantastische Panoramasichten über das touristische gänzlich unerschlossene Hochland.
Der Schwarze Drin, gelegen im Hinterland der Provinzstädte Peshkopi und Kukes ist ein Weitwanderfluss klassischer Prägung – Großschluchten à la Kurdistan inklusive. Lange Flachwasserpassagen wechseln mit wenigen Wuchtschwällen. Anfahrt wie Shuttles sind echte Abenteuer – hier reist man durch den Outback Albaniens.

Ende der Paddelreise und zweifelsohne deren Höhepunkt ist das nur einen Steinwurf von der kosovarischen Grenze entfernte Valbona. Auch hier wurde die mühsame Anfahrt durch eine Teerstraße entschärft. Über die Schnellstraße Richtung Kosovo sowie eine auf gut zwei Stunden verkürzte Asphaltpiste trauen sich von Monat zu Monat mehr Besucher in die abgelegene Talschaft. Fluss und Bergwelt sind ein einziger Traum – die Parallelen zur slowenischen Soca sind unübersehbar: Blaues Wasser aus riesigen Karstquellen, üppig grüne Vegetation, intakte Forstlandschaft und bis in den Sommer mit Schnee bedeckte Bergspitzen bilden die Kulisse. Der Fluss bietet feines Wildwasser für alle Geschmäcker: Die Profis beschäftigen sich mit den Steilabschnitten des Oberlaufs, wer’s gemütlich magt lässt sich zwischen den weißen Kiesbänken durchs Flachstück nahe Bajram Curri tragen, Spielbootfahrer und Wuchtwasserfans werden in der Roten Schucht happy, deren Befahrung stilecht mit eienr kurzen Seenpaddelei an einer der Uferbar am Drin-Stausee ausklingt.